Donnerstag, 17. März 2011

Wie schnell klappt der Ausstieg?


Wie schnell klappt der Ausstieg?

von Isabell Noé

17 Atommeiler sind in Deutschland im Moment in Betrieb - in den nächsten drei Monaten werden es nur noch neun sein. Das geht alten und neuen Atomkraftgegnern nicht weit genug, sie fordern den kompletten Rückzug aus der Kerntechnologie. Bis wann wäre das überhaupt möglich?

Schwere Zeiten für die Atomlobby in Deutschland: Nach der drohenden atomaren Katastrophe in Japan bröckelt die Akzeptanz der Kernenergie in der Bevölkerung. 43 Prozent der Deutschen sehen Kernkraft laut ZDF-Politbarometer jetzt kritischer als noch vor wenigen Tagen. 60 Prozent würden die deutschen Atomkraftwerke gern so schnell wie möglich abschalten. Nun gehen die sieben ältesten Meiler tatsächlich vom Netz - zumindest vorübergehend, während die Bundesregierung ihr Verhältnis zur Atomkraft überdenken will. Ein achtes Kernkraftwerk ist ohnehin abgeschaltet. Aber wäre ein kompletter Rückzug Deutschlands aus der Atomenergie überhaupt realistisch? Und wenn ja, bis wann?

Im Moment liefert die Kernkraft mit 23 Prozent ein knappes Viertel der deutschen Brutto-Stromerzeugung. Zum größten Teil basiert die Energieversorgung auf Kohle: Braun- und Steinkohle bringen es auf insgesamt 42 Prozent Produktion, Erdgas liefert weitere 13 Prozent. Die erneuerbaren Energien - allen voran Wind und Biomasse - tragen zu 16 Prozent zur Gesamtproduktion bei. Insgesamt könnte derzeit weit mehr Strom produziert werden, als gebraucht wird. Die Grundlast liegt in Deutschland bei rund 40 Gigawatt, in Spitzenzeiten steigt die Nachfrage in etwa auf das Doppelte. Die Brutto-Kraftwerkskapazität - also die Leistung inklusive Eigenverbrauch der Kraftwerke - liegt derzeit bei über 140 Gigawatt, in Deutschland kann also Strom über den Eigenbedarf hinaus produziert werden, selbst wenn die Spitzenlast abgerufen wird.

Kohle statt Kernkraft

Wenn die sieben betagten AKW abgeschaltet werden, droht Deutschland also noch lange keine Versorgungslücke. "Wir haben ohnehin zu viele Kraftwerke am Netz", beruhigt Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher. Allein die Solarstromanlagen, die im letzten Jahr neu errichtet worden sind, würden die weggefallenen Kapazitäten ausgleichen. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist weniger optimistisch. Zwar könnten derzeit vier bis fünf Atomreaktoren stillgelegt werden, ohne dass das spürbare Folgen haben würde. Der Preis eines schnellen Abschieds von der Atomkraft wäre aber hoch "Im kommenden Jahrzehnt sollen viele alte Kohlekraftwerke vom Netz gehen", so die Energie-Expertin gegenüber n-tv.de. Als Alternative könnten neue Kohlekraftwerke gebaut werden und die bestehenden würden mehr Strom produzieren. Das wiederum wäre weder dem Klimaschutz zuträglich, noch dem Geldbeutel der Verbraucher. Die müssten nämlich über höhere Strompreise die Mehrkosten für CO2-Zertifikate tragen.

Teurer könnte auch eine weitere Alternative werden - zumindest vorübergehend: Der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien. Bis zum Jahr 2020 könnten Wind, Biomasse, Sonne und Wasserkraft 47 Prozent der deutschen Stromversorgung sichern, verspricht der Bundesverband Erneuerbare Energie. Das wäre mehr als notwendig, um die gesamte wegfallende Atomkraft auszugleichen. Der Umbau wäre allerdings nicht zum Nulltarif zu haben: Nicht nur, dass in entsprechende Kraftwerke und Windparks investiert werden müsste. Die Umstellung auf erneuerbare Energien würde auch andere Ansprüche an die Netze stellen. Durch die Abschaltung der sieben Alt-Meiler werden die Netze zwar zunächst entlastet. Um den lange verschleppten Ausbau der Netze käme man aber nicht herum, zumal die erneuerbaren Energien neue Ansprüche, etwa an die Speichertechnologien stellen würden. Mittelfristig müssten Stromkunden deshalb wohl 2 bis 3,5 Cent pro Kilowattstunde mehr ausgeben, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in einem Sondergutachten errechnet. Auf die lange Sicht lohnt sich die Umstellung aber - auch finanziell. Aufgrund der Technologieentwicklung und der Unabhängigkeit von knappen Ressourcen werden die durchschnittlichen Stromerzeugungskosten aus erneuerbaren Energien kontinuierlich sinken.

Die Mär von der Brückentechnologie

Von Atomkraft als Brückentechnologie hält das SRU wenig - sie würde den Ausbau der Erneuerbaren nur verschleppen. Im Jahr 2050 könnte der Studie zufolge eine Vollversorgung aus regenerativen Energien möglich sein und dazu sei weder eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler notwendig, noch der Bau neuer Kohlekraftwerke. Werde dagegen die Laufzeit verlängert, sei in den 20er Jahren ein "Systemkonflikt zwischen hohen Anteilen volatiler erneuerbarer Energien und schlecht regelbarer Grundlastenergie" absehbar, heißt es aus der Studie vom Januar dieses Jahres.

Während die Bundesregierung den Ausstieg vom Ausstieg überdenkt, fordert auch der Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), Stephan Kohler eine Rückkehr zum alten Atomkompromiss, bei dem der letzte Meiler 2022 vom Netz gehen sollte - schon allein wegen der Investitionssicherheit: "Wir müssen wissen, wohin die Reise geht." Ein sofortiges Abschalten aller Atommeiler hält er jedoch für abwegig. Dann, so Kohler in der "Frankfurter Rundschau", müsse ein Notfallplan her: "Insgesamt entstünde eine kritische Versorgungssituation, bei der es durchaus Stromausfälle im Winter geben könnte." Auch Greenpeace geht nicht so weit, eine sofortige Stilllegung aller Meiler zu fordern. Schon 2015 könnte aber Schluss sein mit Atomstrom aus Deutschland: "Nach Greenpeace-Berechnungen ist es durchaus möglich, in den kommenden vier bis fünf Jahren auch die weiteren neun Reaktoren herunterzufahren und also einen kompletten Atomausstieg bis zum Jahr 2015 zu gewährleisten", sagte der Atomexperte der Organisation, Tobias Münchmeyer gegenüber n-tv.

Adresse:
http://www.n-tv.de/Spezial/Wie-schnell-klappt-der-Ausstieg-article2862191.html